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Neuer Stadtteil in Graz: Ein bisschen Mailand

In Graz entsteht der neue Stadtteil Reininghaus. Dort werden bis 2025 10.000 Menschen einziehen. Das Wahrzeichen wird der begrünte Green Tower.

Mailand in Graz: Auch hier entsteht ein Green Tower mit viel Fassadenbepflanzung.
Mailand in Graz: Auch hier entsteht ein Green Tower mit viel Fassadenbepflanzung.

Im Jahr 2004 wollte der italienische Architekt Stefano Boeri in Mailand mit seinen geplanten Wohntürmen einen Kontrapunkt zu Stahl und Glas setzen. Mit seinem Projekt Bosco Verticale, zwei Hochhäusern mit üppiger Begrünung, überzeugte er die Jury. Heute sind die beiden Wohntürme Wahrzeichen der zweitgrößten italienischen Stadt, dort wohnen die reichen Mailänder, auch Stefano Boeri hat in einem der Häuser sein Büro.

Grüne Oase in luftigen Höhen

Auf den rund 400 Terrassen der beiden Gebäude wachsen 800 Bäume, 4500 Sträucher sowie weitere 15.000 Grünpflanzen und Kräuter. Die vertikale Bepflanzung der beiden 2014 fertiggestellten Hochhäuser setzt pro Jahr 19 Tonnen Sauerstoff frei, die Türme sind Lebensraum für Insekten und Vögel. Aktuell stehen zwei Wohnungen zum Verkauf: eine im 19. Stock mit sieben Zimmern auf 320 Quadratmetern Wohnfläche um fünf Millionen Euro und 2541 Euro Betriebskosten pro Monat, eine kleinere im vierten Stock mit drei Zimmern, verteilt auf 115 Quadratmeter, um 1,7 Millionen Euro. In Graz gibt es Ähnliches, nur günstiger: Im neuen Stadtteil Reininghaus der zweitgrößten Stadt Österreichs entsteht der Green Tower, ebenfalls mit vertikaler Begrünung. Um etwa ein Drittel, rund 455.000 Euro, kann man etwa im 15. Stock eine 103 Quadratmeter große Wohnung mit neun Quadratmetern Balkon erwerben. Für die Planung des Gebäudes zeichnet das Atelier Thomas Pucher verantwortlich, das auch in der Entwicklung des Reininghaus-Areals involviert war.

Grüner Lebensraum im Herzen der Stadt

Der Green Tower bildet eines der Herzstücke des neuen Stadtteils. Im Erdgeschoß werden ein Supermarkt und ein Gastronomiebetrieb einziehen, das Gebäude selbst ist über breite Treppen verbunden mit der angrenzenden und unter Denkmalschutz stehenden Tennenmälzerei, die als Freizeit- und Veranstaltungsbereich dienen soll. Grün soll auch dort die dominante Farbe werden. Reininghaus war bis vor wenigen Jahren mit einer Gesamtfläche von 54 Hektar die größte unbebaute Fläche unweit des Zentrums von Graz. Im Mittelalter gehörte dort dem Geschlecht der Eggenberger ein Wirtshaus samt Brauerei, im 19. Jahrhundert kauften die Brüder Peter und Julius Reininghaus das Gelände und errichteten die erste mit Dampf betriebene Brauerei der Steiermark.

Vom Brauerei-Erbe zur modernen Stadtentwicklung

Und sie brachten sich in die Stadtentwicklung ein. So waren sie bei der Gründung der Grazer Tramway-Gesellschaft und beim Bau der Schlossbergbahn beteiligt. Nach dem Krieg wurde die Bierproduktion in die Brauerei Puntigam im gleichnamigen Stadtteil verlegt, seither ist im wahrsten Sinne des Wortes Gras über das riesige Areal gewachsen. Der Immobilienentwickler Asset One kaufte es im Jahr 2005, 2010 begannen die Planungen für den neuen Stadtteil Graz-Reininghaus, die aber nicht von Erfolg gekrönt waren. Asset One verkaufte an mehrere Interessenten, mit der Stadtteilplanung ging es zurück an den Start. Aktuell entsteht Wohnraum für 10.000 Menschen, es werden Schulen und Infrastrukturen des täglichen Lebens gebaut, auch die Straßenbahn wurde dorthin verlegt. Beheizt wird das Reininghaus-Areal mit der Abwärme des nahen Stahlwerks, der Marienhütte.

Innovatives Kühlsystem und grüne Wohnwunder

Eine eigene Brunnenanlage sorgt für Kühlung der Bauteile nach dem Prinzip des Free Cooling: Nach Entnahme der Energie gelangt das Grundwasser über eine Versickerungsanlage wieder in die Erde. Nach und nach ziehen neue Mieter und Eigentümer im neuen Stadtteil ein, was noch fehlt, sind Gastronomiebetriebe, Einkaufs- oder Freizeitmöglichkeiten. 2025 soll der aktuell noch etwas triste, weil unbelebte, Stadtteil fertig und bewohnt sein. Auch die 138 frei finanzierten Wohnungen des 20-stöckigen Green Tower werden demnächst bezugsfertig. Bepflanzt werden die vier Quadratmeter großen, an der Fassade angebrachten Tröge mit rund 250 Bäumen, 550 Büschen, Kletterpflanzen, Gräsern und Moosen, sie sollen jährlich rund zehn Tonnen CO₂ binden. Im Gegensatz zum Mailänder Vorbild, bei dem die Pflanzen vor den Terrassen wachsen, sind im Green Tower die Pflanztröge seitlich an den versetzten Balkonen angebracht, erklärt die ausführende Architektin Gabriele Jaindl-Steinmann. So werde die Sicht weniger stark beeinträchtigt.

Einzigartige Pflege und Pflanzenvielfalt: Koordinierte Bepflanzung

In manchen Trögen sind Bäume geplant, dort ist im oberen Stockwerk eine Auslassung, um die Pflanze nicht beim Wachsen zu behindern. Die Pflege des vertikalen Waldes koordiniert der Hauseigentümer, drei Mal im Jahr werden sich dort "fliegende Gärtner" vom Dach abseilen, um die Arbeiten zu verrichten. Bei der Pflanzung, die von der Gärtnerei Winkler in Kärnten umgesetzt wird, orientiert man sich an den Jahreszeiten, um abwechselnde Blühzeiten sicherzustellen. In den oberen Stockwerken, wo der Wind mitunter recht kräftig wehen kann, braucht es robustere Pflanzen, hier werden auch Latschen zum Einsatz kommen. Gepflanzt wird, was in 70 Zentimetern Humus am besten gedeiht, bis zu zwölf Pflanzen wachsen in einem Trog, welche sich letztlich durchsetzen, wird die Natur entscheiden.

Mailands Bosco Verticale und Graz' Green Tower im Vergleich

Während es in Mailand schon seit vielen Jahren wächst und blüht, sprießen in Graz die ersten zarten Pflänzchen. Preislich moderat sollen die Nebenkosten für die Pflege der Begrünung sein: Während diese laut einer Mailänder Zeitung beim Bosco Verticale bei unglaublichen 1500 Euro pro Monat und Wohnung liegen sollen, wurden sie für den Green Tower mit 35 Cent pro Quadratmeter und Monat berechnet; für eine 50-Quadratmeter-Wohnung wären das also 17,50 Euro

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