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Weinstein-Urteilsaufhebung löst in Hollywood Entsetzen aus

Die Aufhebung eines Vergewaltigungsurteils gegen den früheren Film-Mogul Harvey Weinstein hat in Hollywood Fassungslosigkeit ausgelöst. Kritik kam unter anderem von Rosanna Arquette, Ashley Judd und Mira Sorvino, die dem früheren Filmproduzenten sexuelle Übergriffe vorgeworfen haben. Weinstein sei 2020 "zu Recht verurteilt" worden, die Aufhebung des Urteils sei "bedauerlich", sagte Arquette dem Branchenblatt "Hollywood Reporter". "Als Überlebende bin ich mehr als enttäuscht."

Neuverhandlung nach Verfahrensfehlern angeordnet
Neuverhandlung nach Verfahrensfehlern angeordnet

Ashley Judd, die erste Schauspielerin, die mit Missbrauchsvorwürfen gegen Weinstein an die Öffentlichkeit gegangen war, erklärte im Onlinedienst Instagram: "Das ist ungerecht gegenüber den Überlebenden. Wir leben in unserer Wahrheit. Wir wissen, was passiert ist."

"Entsetzt!", reagierte die Schauspielerin Mira Sorvino im Onlinedienst X. Der ehemals sehr mächtige Produzent sei ein "Serien-Sexualstraftäter, der 200 Frauen oder mehr vergewaltigt/ihnen ein Leid angetan hat". Sie sei "angewidert", dass die Justiz mehr den Sexualstraftätern als den Opfern zuneige.

Die Schauspielerin Rose McGowan, die Weinstein Vergewaltigung vorwirft, erklärte auf Instagram zu dem gekippten Urteil: "Sie werden niemals kippen, wer wir sind." Sie bedankte sich bei allen, die mit "Mut" und "Einigkeit" gegen den Missbrauch eingetreten seien.

Weinstein war 2020 in New York wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung zu 23 Jahren Haft verurteilt worden. Dagegen hatte der heute 72-Jährige Berufung eingelegt. Am Donnerstag hob der Oberste Gerichtshof in New York das Urteil wegen Verfahrensfehlern auf und ordnete eine Neuverhandlung an. Der Vorsitz der Gerichtskammer bescheinigte dem damaligen Richter James Burke schwere Verfahrensfehler. Das Gericht bemängelte unter anderem, dass Frauen in dem Prozess als Zeuginnen zugelassen wurden, deren Fälle nicht Gegenstand der Anklage gewesen seien. Die Entscheidung, das Urteil aufzuheben, fiel allerdings denkbar knapp mit vier gegen drei Stimmen.

Die Anwältin Lindsay Goldbrum, die mehrere Klägerinnen gegen Weinstein vertritt, bezeichnete die neue Entscheidung der Richter in New York nach Angaben des Senders ABC News als "Rückschritt für die Rechtsstaatlichkeit". Bei einem so mächtigen Mann wie Weinstein seien die fraglichen Zeugenaussagen entscheidend gewesen, um die Behauptung der Verteidigung zu widerlegen, dass die sexuellen Begegnungen einvernehmlich gewesen seien.

Weinstein und Anwälte feierten

Weinstein und sein Anwaltsteam feierten das spektakuläre Urteil. Nach Aussage seines Anwalts Arthur Aidala sei Weinstein "sehr dankbar", berichtete die "New York Times". Der 72-Jährige sitzt in einem Gefängnis im Norden des US-Bundesstaates New York ein. Aidala zufolge soll sein Mandant nun näher an die Metropole verlegt werden. Er könne zurück vor Gericht kommen und seine Sicht der Dinge darlegen: "Er brennt darauf, seine Geschichte vom ersten Tag an zu erzählen." Aidala betonte, sein Team habe von Anfang an "gewusst, dass Weinstein keinen fairen Prozess bekommen hat". Weinstein hat seinen Anwälten zufolge schwere gesundheitliche Probleme, unter anderem ein Herzleiden.

Obwohl eine Freilassung Weinsteins wegen der Haftstrafe in Los Angeles vorerst nicht ansteht, gibt das Urteil in New York seinen Anwälten Aufwind, auch an der US-Westküste in Berufung zu gehen. Anwältin Jennifer Bonjean könnte bereits Mitte Mai vor einem Berufungsgericht in Kalifornien einen entsprechenden Antrag stellen, berichtete "Variety".

Die Staatsanwaltschaft in Los Angeles zeigte sich "betrübt" über das Urteil der New Yorker Berufungsrichter. In einer Stellungnahme drückte die Behörde aber auch Zuversicht aus, dass Weinsteins Verurteilung in Kalifornien aufrechterhalten werde. Dann würde Weinstein die "schwerwiegenden Folgen seines beklagenswerten Verhaltens" tragen. Nach dem Prozess in New York war Weinstein in Los Angeles wegen Vergewaltigung und sexueller Übergriffe zusätzlich zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Auf dieses Urteil dürfte die Aufhebung der Verurteilung in New York keine Auswirkungen haben, sagte die Strafrechtsprofessorin Aya Gruper der Nachrichtenagentur AFP.

Zivilklage anhängig

Neben Strafprozessen wird Weinstein auch mit Zivilklagen konfrontiert. Im vorigen Oktober reichte die britische Schauspielerin Julia Ormond (59, "Sabrina") wegen angeblicher Sexualverbrechen eine Klage in New York ein. Darin behauptet sie, Weinstein habe sie 1995 bei einem geschäftlichen Treffen belästigt und unter anderem zum Oralsex gezwungen. Die Klage richtet sich auch gegen die Walt Disney Company, Miramax und die Talent-Agentur Creative Artists Agency (CAA). Die Filmstudios und ihre Agenten bei CAA hätten damals von Weinsteins wiederholten Übergriffen auf Frauen gewusst, macht Ormond geltend. Sie hätten es versäumt, sie zu warnen und vor ihm zu schützen.

"Variety" zufolge sagte Ormond in einem Interview, dass sie nun mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit trete, weil sie glaube, dass "systemischer Wandel" immer noch benötigt werde. Dazu müssten auch jene, die Fehlverhalten ermöglichen, zur Rechenschaft gezogen werden. In ihrer Klage verlangt die Schauspielerin Schadenersatz in nicht genannter Höhe.

Vorwürfe lösten MeToo-Bewegung aus

Die Enthüllungen über den einst gefeierten Filmproduzenten hatten 2017 die #MeToo-Bewegung ausgelöst. Dutzende Frauen, darunter Stars wie Gwyneth Paltrow und Angelina Jolie, hatten ihm sexuelle Angriffe bis hin zur Vergewaltigung vorgeworfen. Weinstein wies alle Vorwürfe zurück und sprach von einvernehmlichen Sex. In vielen Fällen waren die mutmaßlichen Taten bereits verjährt.

Weltweit sahen Betroffene auch eigene Erlebnisse in denen der mutmaßlichen Weinstein-Opfer reflektiert. Unter dem Schlagwort "Me too" ("Ich auch") fanden sie öffentlich Gehör - mit Folgen für weitere einflussreiche Leute, die angeprangert, gefeuert oder angeklagt wurden. Seit 2017 haben mehr als 80 Frauen Weinstein sexuelle Übergriffe vorgeworfen.

Auch im Kino wurde der tiefe Fall des Produzenten aufgerollt. Im Herbst 2022 feiert das Filmdrama "She Said" von Maria Schrader ("Unorthodox") seine Weltpremiere. Die deutsche Regisseurin erzählte darin die Geschichte der "New York Times"-Reporterinnen Megan Twohey und Jodi Kantor, die 2017 ihre Weinstein-Enthüllungen zu Papier brachten. Der Film zeigt, wie die Reporterinnen eingeschüchterte Opfer treffen, Weinstein-Mitarbeiter aufsuchen, sich mit Anwälten anlegen, beschattet werden und mit Vorgesetzten diskutieren, ob die Story veröffentlicht werden kann.

KOMMENTARE (1)

Peter Lüdin

Die Verteidigerin von H. Weinstein, Donna Rotunno, hat zur MeToo-Bewegung und deren Anhängerinnen bereits alles klar und deutlich gesagt: "Frauen, die nicht bereit seien, die Konsequenzen für ihres eigenen Handeln zu tragen"
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