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Israels Gegenschlag im Iran: Ein Schachzug im Schattenkrieg

Israels Führung hatte eine "kluge" Antwort auf den iranischen Drohnen- und Raketenangriff angekündigt. Das könnte in der Nacht auf Freitag gelungen sein und zumindest kurzfristig eine weitere Eskalation abwenden.

Im iranischen Isfahan, Ziel eines israelischen Gegenschlags in der Nacht auf Freitag, ging am Freitag das Leben seinen gewohnten Gang.
Im iranischen Isfahan, Ziel eines israelischen Gegenschlags in der Nacht auf Freitag, ging am Freitag das Leben seinen gewohnten Gang.

Von einem gelungenen Schachzug Israels gegen den Iran war am Freitagvormittag in israelischen Medien die Rede. Ein anscheinend gut überlegter Gegenangriff, eine klar vermittelte Warnung, ohne die Lage weiter zu eskalieren. Dabei war - und ist vorerst nach wie vor - nicht einmal klar, was in den frühen Morgenstunden um die Stadt Isfahan im Zentraliran eigentlich genau passiert ist.

Um rund 4.45 Ortszeit zitieren israelische Medien Berichte aus US-Medien, laut denen israelische Raketen eine Einrichtung innerhalb des Iran getroffen hätten. Drei große Explosionen soll es gegeben haben. Berichtet wird außerdem von weiteren Angriffen in Syrien und im Irak. Eine gute Stunde später berichten iranische Staatsmedien vom Versuch eines Drohnenangriffs in der Nähe von Isfahan, bis sie eine halbe Stunde danach überhaupt ganz ausschließen, dass ein ausländischer Angriff auf Isfahan oder andere Orte im Iran stattgefunden habe.

Als das iranische Staatsfernsehen im Laufe des Vormittags einen Angriff bei Isfahan schließlich doch eingesteht, entscheidet es sich für folgende Version: Kurz nach Mitternacht habe die iranische Luftabwehr drei Drohnen über Isfahan erkannt und zerstört. Dabei dürfte es sich nicht um einen Angriff von feindlichem Staatsgebiet aus gehandelt haben. Mehr sei nicht vorgefallen. Über mehr sei nicht zu berichten.

Zur selben Zeit berichten US-Medien über die Hintergründe eines gelungenen und "beschränkten" israelischen Angriffs auf den Iran. Die USA seien zwar nicht direkt daran beteiligt gewesen, Israel habe die USA jedoch im Vorfeld über einen bevorstehenden Angriff informiert. Offiziell äußert sich Israel nicht zu den Berichten und übernimmt auch keine Verantwortung für einen Angriff, dessen Details weiter im Dunkeln liegen.

Dieses Verwirrspiel und die offensichtliche Bereitschaft des Iran, daran teilzunehmen, werden von einer Vielzahl israelischer Experten als großer Erfolg gewertet. Besonders gilt das für die sich abzeichnende iranische Reaktion. Trotz wüster Drohungen der vergangenen Tage in Richtung Israel sehe man von einer Antwort ab. Die Begründung: Man wisse ja nicht, wer hinter diesem Vorfall stehe, und dementsprechend könne man nicht reagieren.

Das auffallende Ausweichen der iranischen Führung könnte also durchaus auf wesentlich mehr als auf drei feindliche Drohnen zurückzuführen sein. Der Sicherheits- und Politikanalyst Wolfgang Pusztai vom Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik in Wien skizziert gegenüber den SN eine für den Iran wesentlich bedrohendere Version der Ereignisse. Nach Informationen, die Pusztai vorliegen sollen, soll Israel vermutlich mit F-35-Tarnkappen-Kampfflugzeugen Radareinrichtungen und Stellungen von Flugabwehrraketen bei Atomanlagen im Raum Isfahan getroffen haben. Dabei soll es auch Einschläge auf einer Luftwaffenbasis gegeben haben.

Ein unmissverständlicher Schuss vor den Bug sozusagen, mit der Botschaft von Israels Seite: Wir können immer und überall - auch innerhalb des Iran - zuschlagen. Beim nächsten Mal könnten wir Atomanlagen selbst ins Visier nehmen. Sollte so ein Angriff tatsächlich stattgefunden haben, hätte Israel dem Iran seine eigene Verwundbarkeit wirksam und diskret unter Beweis gestellt. Während die iranische Luftabwehr Israels Technologie und Herangehensweise nichts entgegenzusetzen hatte, war Israel vergangene Woche imstande - mit tatkräftiger Unterstützung seiner Verbündeten -, den massiven iranischen Angriff mit mehr als 350 Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern zu 99 Prozent abzuwehren.

Da Israel zu dem vermeintlichen Angriff jedoch nicht Stellung bezogen hat, habe man dem Iran - und sich selbst - ermöglicht, bei gleichzeitiger Abschreckung eine weitere Eskalation zu verhindern, ohne dass eine der Seiten ihr Gesicht oder ihre Fassung verlieren muss. Viel war seit dem beispiellosen direkten Angriff des Iran auf Israel die Rede davon, dass sich die Spielregeln im Schattenkrieg zwischen dem Iran und Israel unwiederbringlich geändert hätten. Seit letzter Nacht scheint möglich, dass Israel diese Regeln durch eine wohlüberlegte Aktion wiederhergestellt haben könnte. Zumindest scheinen das beide Länder derzeit zu befürworten.


KOMMENTARE (1)

Peter Lüdin

Wenn z. B. zwei Millionen Chinesen oder Kanadier im Gazastreifen wohnen würden, sähe das inzwischen aus wie Vancouver, Toronto, Hongkong oder Singapur. Die Hamas hat für ihre Bevölkerung bis anhin gar nichts erreicht. Scheint aber irgendwie keinem wirklich aufzufallen.
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